Als nun Mose sah, dass das Volk zügellos geworden war – denn Aaron hatte ihm die Zügel schießen lassen (…) (2 Mose 32,25)

Wenn uns bewusst ist, dass das Volk Israel nach seinem Auzug aus Ägypten quasi die erste Mega-Gemeinde darstellte, lassen sich einige interessante Lektionen für uns und unsere Gemeindelandschaft ableiten. Die Situation rund um den heutigen Vers ist, dass gerade das goldene Kalb gegossen und gefeiert worden war, während Mose auf dem Berg war. Wir sind schnell dabei, das dumme, dumme (Christen-)Volk für seine Dummheit zu verurteilen. Die Perspektive der Bibel ist eine andere: Der Grund dafür, dass das goldene Kalb überhaupt entstanden war, lag darin, dass Aaron dem Volk die Zügel hatte schießen lassen!

Die Verantwortung für diese Situation und ihre Konsequenzen lag bei Aaron. Er war der designierte Stellvertreter für Mose, er sollte in Moses Abwesenheit dafür sorgen, dass die Ordnung im Volk erhalten bleibt. In erster Linie hatte Aaron versagt – nicht das Volk! In unserer antiautoritären Gesellschafts- und Gemeindelandschaft haben wir oft ein Problem mit Leitern (angefangen von Eltern, über Lehrer, Chefs bis hin zu Pastoren, Regierungsvertretern und Co). Gerade in der christlichen Landschaft gilt oft eine Gleichmacherei, die allerdings der Bibel vollkommen widerspricht. Es wird Zeit, dass wir zumindest innerhalb der Gemeinde beginnen, Autoritätsstrukturen zu verstehen und zu achten! In der Gemeinde sind einerseits alle gleich, was den Stand vor Gott, seine Liebe, seine Gnade und seine Verheißungen betrifft. Die Position der Menschen in der Gemeinde jedoch ist längst nicht so „gleich“. Nach meinem momentanen Verständnis ist der Boss der Gemeinde der Pastor. Er hat das Sagen, er trägt die Verantwortung. Nicht der Leiter-Kreis, nicht die Mehrheit, und nicht einmal der Apostel, der diese Gemeinde mal gegründet haben mag. Es offenbart unseren eigenen Charakter, ob und wie wir diesen Leiter achten und ehren.

Im besten Falle ist der Pastor deiner Gemeinde handverlesen von Gott. Ich habe in den vergangenen Monaten einige Gemeinden besucht, und man spürt es, wenn die Pastoren nah am Herzen Gottes sind und ihren Auftrag in Ehrfurcht vor Gott erfüllen. Und man sieht es an den Gemeindeschafen, denn sie strahlen sehr oft innere Ruhe und Frieden aus. Leiterschaft in einer Gemeinde ist eine hochheilige Angelegenheit! Wir sehen am Beispiel Aarons, wie sehr der Schuss nach hinten losgehen kann. Für jeden Leiter (und solche, die es werden wollen) ist eine Sache unumgänglich: Die Charakterschule! Ein Leiter mit einem ungeformten Charakter ist das letzte, was du als Schaf möchtest… Und übrigens: Charakterschule endet mit dem Ende deines Lebens.

In 1. Timotheus 3 finden wir einige interessante Merkmale als Grundvoraussetzung für „Leiter“ im erweiterten Sinne, nämlich die Aufseher und Diakone. Wir reden hier also nicht einmal von den Pastoren, Propheten oder Aposteln. Die englische Message-Bible hat hier ein paar nette Beschreibungen, die ich mal übersetzt wiedergeben möchte. Danach sollte ein solcher Leiter: einen guten Ruf haben (auch bei Menschen außerhalb der Gemeinde), cool und gefasst sein (also keine Temperamentsausbrüche), nahbar und gastfreundlich, er muss wissen, wovon er spricht, kein Trinker, er darf keinen Druck machen sondern soll behutsam sein, nicht dünnhäutig, nicht geldgierig. Er muss seine eigenen Angelegenheiten gut im Griff haben, achtsam mit seinen Kindern sein und ihren Respekt haben. Wenn jemand nicht in der Lage ist, sich um seine eigenen Angelegenheiten angemessen zu kümmern, wie will er sich dann um die Gemeinde Gottes kümmern können? Er soll nicht jung im Glauben sein, damit ihm seine Position nicht zu Kopf steigt. (1 Timotheus 3,1-7).

Es geht noch weiter mit denen, die in der Gemeinde dienen wollen: Sie müssen es ernst meinen, nicht hinterlistig (oder doppelzüngig) sein, keinen Nutzen aus ihrer Position ziehen wollen (…). Für die Frauen gilt das gleiche: sie müssen es ernst meinen, dürfen keine scharfe Zunge haben und müssen zuverlässig sein (Verse 8-11).

Ihr Lieben, jeder von uns ist schlussendlich berufen, ein Mitarbeiter im Haus Gottes zu sein. Ganz egal, ob du einen Hauskreis leitest, den Küchendienst machst, zum Lobpreisteam gehörst oder zum Putzteam! Jeder von uns ist aufgerufen, seinen Charakter schleifen zu lassen. Auch wenn Paulus dem Timotheus in diesem Brief dabei hilft, die ersten Leiter für seine Gemeinde auszuwählen, sind diese Anforderungen doch eigentlich nichts anderes als „Sollvorgaben“ für uns alle. Die gesamte Jüngerschaft ist nichts anderes als eine Charakterschule, denn es geht darum, dass unser Wesen verändert wird in das Bild Jesu. Für alle, die jetzt damit argumentieren, dass das Wort Charakter ja gar nicht in der Bibel steht: Dann ersetze es meinetwegen mit dem Wort Wesen. Oder anders gesprochen: Es geht einfach darum, dass die Art und Weise, wie wir seelisch ticken, umgestaltet wird.

Übrigens ist dieser Artikel heute nicht dazu gedacht, dass du ihn als Checkliste für deinen Pastor oder die Leiter deiner Gemeinde nutzt. Er ist dazu gedacht, dass du ihn als Checkliste für dich nutzt. Am Beispiel von Aaron haben wir gesehen, was passieren kann, wenn wir in einen Dienst eintreten, wo wir es mit Menschen zu tun haben und vielleicht sogar noch eine Leitungsfunktion haben, ohne dass unser Wesen (oder Charakter) geformt wird. Aaron ist eingeknickt, weil er dem Volk gegenüber seinen Stand nicht behaupten konnte. Dahinter stand keine Lebensgefahr, sondern – davon bin ich überzeugt – schlichte Charakterschwäche. Deine und meine Charakterschwäche hat das Potential, Menschen zu verletzen oder in die Irre zu führen. Es endet jedenfalls immer mit Schmerzen, Leid und oftmals einem langen, langen Weg zurück zu dem Punkt, wo man (mit „Hilfe“ des Leiters) vom Kurs Gottes abgekommen ist. Wir haben eine hohe, hohe Verantwortung – das muss uns bewusst sein!