Ist nicht das ein Fasten, an dem ich Gefallen habe: daß ihr ungerechte Fesseln losmacht, daß ihr die Knoten des Joches löst, daß ihr die Unterdrückten freilaßt und jegliches Joch zerbrecht? (Jes 58,6)
Wahrscheinlich hast du auch schon xunddreißig Predigten über Kontrolle und Manipulation gehört. Interessanterweise findet sich weder der eine noch der andere Begriff in der Bibel. Was man allerdings ansatzweise in diesem Zusammenhang findet, ist „Zauberei“. Dieser Begriff erscheint einmal in Gal. 3,1 mit dem griechischen Wort baskaino, das übersetzt werden kann mit „Verzaubern, verleumden, schmeicheln“, und einmal in Gal. 5,20, wo sich der griechische Ausdruck pharmakeia findet, der wiederum bedeutet „Gebrauch von Drogen oder Gift, kultische Rituale von Zauberei, oder metaphorisch: Verführung zum Götzendienst“. Im Neuen Testament findet sich dieses Thema interessanterweise nur im Hinblick auf Götzendiener wie Simon und in der Offenbarung, und ausschließlich im Galaterbrief.
Ich glaube, wir haben das Wesen von Kontrolle und Manipulation noch nicht ergriffen. Wir kommen der Sache vielleicht etwas auf die Spur, wenn wir uns das Wesen von Vertrauen bewusst machen: Vertrauen ist untrennbar mit Glauben verbunden. Im Griechischen wird das Wort „pistis“ verwendet, das eben „Treue, Vertrauen, Glauben“ bedeutet. Vertrauen hat mit Glauben zu tun – und zwar sowohl in Bezug auf Gott, als auch in Bezug auf Menschen. Wenn ich Vertrauen zu Menschen habe, glaube ich, dass sie nichts tun, was mir oder anderen schadet. Ich glaube, dass sie sozusagen „wissen, was sie tun“. Ich glaube sogar, dass Gott ihnen zeigen kann, was sie tun sollten, und sie in der Lage sind, das zu verstehen und Gott gehorsam zu sein. Und mein Glaube geht sogar so weit zu erwarten, dass Gott die Dinge anderweitig für mich regeln kann, wenn Menschen in diesem Punkt sozusagen ohne böse Absicht versagen.
Das Gegenteil von Vertrauen ist Misstrauen. Wo ich misstrauisch bin, muss ich hinterher sein und überprüfen, ob alles läuft, wie es laufen sollte, bzw. selbst dafür sorgen, dass die Dinge laufen, wie sie laufen sollten. Misstrauen bewirkt Kontrolle und Manipulation, und das ist Unglaube pur. Und zwar wiederum Unglaube Gott gegenüber und Menschen gegenüber. Dort, wo Kontrolle und Manipulation an der Tagesordnung ist, haben die betreffenden Personen keinen Glauben. Glauben und Kontrolle schließen sich gegenseitig aus. Das gilt überall dort, wo Menschen zusammenkommen – in Partnerschaft, am Arbeitsplatz, in der Gemeinde.
Vielleicht macht es ein anderes Begiffspaar noch deutlicher: Nämlich binden und loslassen. Wer vertraut, der lässt los. Wer (Gott oder einem Menschen) glaubt, lässt los. Man gibt frei. Man hält andere nicht mehr an einer Leine. Man gibt die Kontrolle ab. Für manche Menschen ist das fast unmöglich. Sie brauchen den Zugriff auf andere. Sie müssen wissen, wer was tut, und zwar ob überhaupt und wie, wie oft, in welchem Ausmaß. Sie beobachten permanent oder lassen sogar beobachten. Und mit der Beobachtung geht eine Bewertung einher: Tut dieser Mensch das, was ich von ihm (z.T unausgesprochen) erwarte? Man bindet Menschen mit den eigenen Erwartungen und der unterschwelligen Annahme, dass sie eben genau das nicht tun – Unglaube.
Jesaja beschreibt das als ungerechte Fesseln, als Joch der Unterdrückung. Eine interessante Parallelstelle findet sich in Jeremia 34,8-9: Das Wort, das vom Herrn an Jeremia erging, nachdem der König Zedekia mit dem ganzen Volk in Jerusalem einen Bund gemacht hatte, eine Freilassung auszurufen, daß jeder seinen Knecht und jeder seine Magd, sofern sie Hebräer und Hebräerinnen waren, freilassen sollte, und niemand mehr einen Juden, seinen Bruder, zum Dienst zwingen sollte. „Zwang zum Dienst“ – eine perfekte Beschreibung von Kontrolle.
Kontrollierende Menschen stehen unter einem Zwang und zwingen andere. Kontrollierende Menschen sind selbst total unfrei. Sie sind eng, hart und unbarmherzig. Und schlussendlich haben sie keinen Glauben. Wer keinen Glauben hat, hat ihn auch Gott gegenüber nicht.
Was ist die Therapie? Zwinge dich selbst, andere loszulassen. Beobachte dich selbst und erkenne deine eigenen Beobachtungsmuster. Wen beobachtest du? Was beobachtest du? In welchem Zusammenhang registrierst du alles? Fange an, in diesen Suituationen bewusst wegzuschauen. Lass die Menschen los. Bringe die Situationen, in denen du dafür sorgen willst, dass bestimmte Dinge auf eine bestimmte Weise passieren, vor Gott und glaube ihm dafür, dass er das Ganze regeln kann. Halt dich raus aus Dingen, die dich im Prinzip nichts angehen!
Im Englischen gibt es eine Formel, die lautet: Let go – let God. Lass los – lass Gott eingreifen. Auch wenn es zu Beginn schwer sein mag – du wirst feststellen, dass deine Enge um dich herum langsam aber sicher weit wird, und dass ein Glaubensleben sehr viel entspannter ist.