Der Herr hat alles Blut des Hauses Sauls, an dessen Stelle du König geworden bist, auf dich zurückgebracht, und der Herr hat das Königreich in die Hand deines Sohnes Absalom gegeben, und siehe, nun steckst du in deinem Unglück; denn du bist ein Mann der Blutschuld! (2 Sam 16,8)

Diese knackige Aussage stammt von Simei, der zum Geschlecht von König Saul gehörte. Er macht sie zu dem Zeitpunkt, wo Absalom per Manipulation und Intrige den Thron von Jerusalem an sich gerissen hat und David freiwillig die Stadt (und damit seine Königsherrschaft) aufgibt. Auf seinem Weg kommt er also an Simei vorbei, der eine glasklare Einsicht hat, warum das David passiert ist: „Gott hat dir das Reich weggenommen.“ Dabei wissen wir, dass David der von Gott eingesetzte König war, und dass Absalom auf übelste Weise auf den Thron gekommen ist. Drei Kapitel später ist Absalom tot und David kehrt zurück auf den Thron. Lieber Simei, hat Gott seine Meinung geändert?

„Das Reden Gottes“ ist eine hochinteressante Angelegenheit. Das „Handeln des Teufels“ übrigens auch… Lass uns die Situation genauer betrachten: Simei gehörte zum Haus Sauls. Saul ist tot, David hat seinen Thron eingenommen, Simei ist wütend darüber. Absalom putscht, David räumt den Thron, zieht aus Jerusalem aus und kommt an Simei vorbei. Simei freut sich, dass endlich Gottes Wille geschieht und hat ein paar deftige Worte für David. Kern seiner Aussage ist: Gott hat das inszeniert. Interessanterweise muss Simei kurze Zeit später einsehen, dass er sich gründlich geirrt hat.

Wir haben hier also eine Situation, von der jemand behauptet: „Gott hat geredet“. Grund für seine Annahme ist eine Entwicklung, die zutiefst seinen eigenen Wünschen entspricht. Ich weiß nicht, ob du ähnliche Beispiele kennst, wo Dinge passieren oder Entscheidungen getroffen werden, bei denen man denkt oder sagt: „Gott hat geredet“ – ich kenne genügend Beispiele, auch aus meinem eigenen Leben. Die Crux an der Sache ist: Wir (oder andere) treffen solche Entscheidungen aus der tiefsten inneren Überzeugung, dass es wirklich das Reden Gottes war! Doch dann gibt es Entwicklungen, die diese Überzeugung fraglich werden lassen. Und auch ich musste mir die Frage gefallen lassen: „Hat Gott plötzlich seine Meinung geändert? Hat Gott sich vielleicht geirrt?“

In einer solchen Situation gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder Gott hat geredet, und nun gilt es Schwierigkeiten und (wirklich heftige) Kämpfe zu überwinden – oder Gott hat nie geredet, und wir kämpfen bis zum Äußersten gegen einen scheinbaren Feind, der wiederum scheinbar den Willen Gottes verhindern will. Und wenn wir dann eines Tages die Weichen unseres Lebens neu stellen, haben wir in den Augen anderer versagt, sind glaubensmäßig eingeknickt und kapitulieren vor dem Feind. Und wenn wir dann noch sagen, dass Gott uns in eine andere Richtung führt, kommt unter Garantie die Frage, ob Gott wohl seine Meinung ändert… Aber die eigentliche Frage ist: Hat Gott eigentlich je geredet??

Simei war von seiner Einschätzung überzeugt: Gott hat David vom Thron gekickt und Absalom eingesetzt. Wie kam er darauf? Es entsprach zutiefst seinem eigenen Wunsch! Und genau da kommen wir dem Problem auf die Spur: Ist es Gottes Wille oder eigentlich unser eigener? Legen wir Gott Worte in den Mund, weil wir eine „geistliche Legitimation“ für unsere Entscheidungen brauchen? Ich weiß nicht, ob du das kennst, aber ich habe in einer Zeit, wo ich eine bestimmte Richtung eingeschlagen habe, eine „Bestätigung“ nach der anderen dafür bekommen, dass diese Entscheidung richtig ist. Ich hatte „Bilder“, Bibelverse, Impulse, scheinbare „Gunst“ und so weiter. Gott hat permanent „geredet“ – und hat immer nur und ausschließlich das „bestätigt“, was ich selbst gern wollte – scheinbar jedenfalls. Nur eines hatte ich nicht: Die Bestätigung durch zwei oder drei Zeugen (und bitte: unsere eigenen Bestätigungen auf drei verschiedene Arten gelten nicht als „Zeugen“).

Das „Reden Gottes“ kann zu einer totalen Irreführung werden, wenn wir wissen, was wir wollen und nicht wirklich bereit sind, diesen Schritt loszulassen. Was tat David in dieser Situation? Er schickte sogar die Bundeslade zurück nach Jerusalem mit den Worten: „Wenn ich Gnade vor dem Herrn finde, so wird er mich wieder zurückbringen, dass ich ihn und seine Wohnung wiedersehen darf.“ Er ließ alles los. Und Gott stellte seinen Thron wieder her. David musste überhaupt nichts dafür tun.

Ich habe mich lange Zeit gefragt, ob Gott damals wirklich geredet hat, als ich meinte, er würde mich in eine bestimmte Richtung führen. Heute weiß ich: Nein, hat er nicht. Was ich aber mit Sicherheit weiß, ist, dass er das Beste aus meiner Entscheidung gemacht hat. Ich weiß heute, dass mein Wunsch in Kombination mit einigen seelischen und manipulativen Kräften mir ein „Reden Gottes“ vorgegaukelt hat. Ich hatte Bestätigungen, dass es krachte – nur waren sie nicht von Gott.

Wie kann man sichergehen, dass man wirklich das Reden Gottes, und nicht das der eigenen Seele oder das von anderen hört? Ein wesentlicher Faktor ist unsere „wahre“ Motivation. Wenn du ganz ehrlich bist: Warum willst du das, was du gerade willst, wirklich? Ohne „geistliche Garnitur“, geistliche Selbstbeweihräucherung oder Opferbereitschaft? Was ist dein wahres Motiv, das so wahr ist, dass man es lieber nicht laut sagt? Wozu soll dieser Schritt wirklich dienen? Wenn das eigentliche Motiv ein anderes ist als das, was man anderen erzählt, ist die Sache schon mal mindestens kritisch. Ein zweiter wesentlicher Faktor sind zwei oder drei Zeugen, am besten solche, die absolut gar nichts von deiner Situation wissen. Ich habe in meiner Entscheidungsphase damals um solche Zeugen gebetet, aber habe nie andere Bestätigungen als meine eigenen gehabt. Heute weiß ich, dass das wahrscheinlich der größte Fehler war. Wenn Gott wirklich redet, dann ist er groß genug, dafür auch noch zwei oder drei andere zu benutzen, schließlich ist das sein eigenes biblisches Prinzip! Und wenn diese Bestätigung ausbleibt, liegt das wahrscheinlich nicht an der „Ungeistlichkeit“ anderer! Wenn Gott keine Bestätigung gibt, hat er nichts zu bestätigen. Und auch das müssen wir in Kauf nehmen können, wenn wir vor Schaden bewahrt bleiben wollen. Ich kann heute nur aus eigener turbulenter Erfahrung sagen: Triff niemals lebensumwälzende Entscheidungen ohne die verlässliche Bestätigung durch andere (möglichst „Unwissende“) und ohne Ehrlichkeit vor dir selbst.