Glückselig sind die geistlich Armen, denn ihrer ist das Reich der Himmel! (Mt 5,3)

Ich erinnere mich noch daran, wie ich als frisch Bekehrte die „Bergpredigt“ las. Das ist schon eine ziemliche Weile her, und ich erinnere mich noch, wie sehr das für mich nach „schöner neuer Welt“ klang. Es wirkte fast romantisch auf mich. Danach habe ich nur noch einzelne Auszüge oder einzelne Verse daraus gelesen oder Predigten über einzelne Aspekte daraus gehört, aber nie die Bergpredigt in ihrem Zusammenhang. Seit jemand diese Bergpredigt als „Verfassung des Reiches Gottes“ bezeichnet hat, bin ich neu und völlig anders interessiert. Je mehr ich mich damit beschäftige, desto größer werden die Baustellen – nicht nur meine eigenen, sondern ziemlich offensichtlich „Leib-weit“.

Interessant ist schon der Vers vor dieser ersten „Seligpreisung“: Und er tat seinen Mund auf zu einer Rede, lehrte sie und sprach (Mt 5,2). Die Bergpredigt ist die allererste Lehreinheit von Jesus persönlich, sie ist die längste, die uns am Stück vermittelt wurde, und sie transportiert das, was Jesus für ein Leben im Reich Gottes für wichtig hält. Noch einmal ganz deutlich: Jesus lehrte – er hielt keine Moralpredigt, auch wenn die Bergpredigt so wirken kann, wenn wir sie nicht verstehen. Übrigens lehrte er zu seiner Zeit auf Erden immer über ein Thema, zu dem niemand außer ihm etwas sagen konnte, weil niemand es verstand: Das Reich Gottes. Das war der Kern seiner Lehre in allen möglichen Ausprägungen und Schwerpunkten. Wollen wir das Reich Gottes verstehen, sind die Lehreinheiten von Jesus das beste Material dazu.

Er legt steil los mit einer sogenannten „Seligpreisung“: Glückselig sind die geistlich Armen, denn ihrer ist das Reich der Himmel. Was heißt glückselig? Es heißt vollkommen zufrieden und glücklich in der Gemeinschaft mit Gott (und nicht aufgrund der äußeren Umstände). Warum glückselig? Weil ihrer das Reich der Himmel IST, nicht „sein wird“. Wenn du andere Seligpreisungen anschaust, ist dort von einem Prozess die Rede („sollen … werden“). Was ist das Reich der Himmel? Friede, Freude, Gerechtigkeit im Heiligen Geist (Röm 14,17). Und wo Friede, Freude, Gerechtigkeit im Heiligen Geist ist, da ist die Gemeinschaft mit und Beziehung zum Heiligen Geist. Und was das praktisch bedeuten kann, sprengt hier den Rahmen (als Appetizer: 1. Kor 2,9-10; Gal 5,22; 1 Joh 2,20.27; Röm 8,14; Joh 14,26;16,13).

Also: Es gibt eine Gruppe von Menschen, die JETZT das Reich Gottes haben, nämlich die geistlich Armen. Was heißt das? Zunächst einmal geht es ausdrücklich um geistliche Armut, nicht materielle! Als ich andere Stellen über Arme las, war immer davon die Rede, dass man ihnen helfen soll. Nirgendwo wurde Armut als ein erstrebenswerter Zustand dargestellt. Doch was ist geistliche Armut? Wer arm ist, hat nichts oder nicht viel – zumindest nicht genug. Er befindet sich in einer ständigen Bedarfslage. Ein geistlich Armer hat geistlich nicht genug. Und er weiß, dass er mehr braucht, dass er bedürftig ist. Und da wird die Sache interessant.

Als ich kürzlich auf mein Facebookprofil einen Vers schrieb, in dem es darum ging, auf die Rettung des Herrn zu warten, kam ein Kommentar, der lautete: „Die Rettung ist doch schon da!“ Mit anderen Worten: Du hast doch schon alles, was du brauchst! Du brauchst doch gar nichts mehr! Ich verstehe, was derjenige ausdrücken wollte: In Christus ist uns alles geschenkt, grundsätzlich haben wir in ihm alles, was wir brauchen. Und ja, das stimmt. ABER – ich schicke ein fetter ABER hinterher – was macht das aus uns? Es macht aus uns geistlich Reiche.

Die Gemeinde von Laodizea wird in den sieben Sendschreiben der Offenbarung sehr heftig angezählt. Was sagt Jesus über diese Gemeinde? Ich kenne deine Werke, dass du weder kalt noch heiß bist. Ach, dass du kalt oder heiß wärst! So aber, weil du lau bist und weder kalt noch heiß, werde ich dich ausspeien aus meinem Mund. Denn du sprichst: Ich bin reich und habe Überfluß, und mir mangelt es an nichts! — und du erkennst nicht, daß du elend und erbärmlich bist, arm, blind und entblößt (Offb 3,15-17). Jesus attestiert ihnen LAUHEIT, DENN sie sprechen: Ich bin reich, habe Überfluss und keinen Mangel. Mir ist bewusst, dass wir uns hier auf einem schmalen Grat bewegen. Denn auf der einen Seite haben wir die Verheißungen Gottes und brauchen das Bewusstsein darüber, was es heißt, ein Kind Gottes zu sein. Auf der anderen Seite ist es Jesus persönlich, der eine Haltung anprangert und eine andere lehrt.

Ich denke, der Schlüssel dazu liegt in der Lauheit. Jesus sagt zu der Gemeinde in Laodizea (die glaubensmäßig sozusagen das Richtige bekennt): „Ihr seid lau geworden!“ Was heißt lau? Das „Nachjagen“ hat aufgehört. Paulus sprach kurz vor seinem Tod noch darüber: Ich glaube nicht, dass ich schon ergriffen habe, was Gott mit mir vorhat. Ich glaube nicht, dass ich am Ziel bin. Und so jage ich auf mein Ziel zu (Phil 4,12-14). Paulus, der gut zwei Drittel des Neuen Testaments geschrieben hat, der Gnadenapostel, ist noch nicht satt, gefüllt und zufrieden. Lauheit bedeutet nicht emotionale Unbeteiligung. Man kann total begeistert von Jesus sein, Lobpreislieder singen und schreiben und jedes Jahr mehrere Konferenzen besuchen – aber das sagt nichts darüber aus, ob man heiß, kalt oder lau ist! „Heiß“ nach der Definition von Jesus ist derjenige, der erkennt, dass er arm und bedürftig ist. Derjenige, der weiß, dass es so viel mehr gibt, dass er im Vergleich dazu erbärmlich und elend ist. Und der sich auf den Weg macht, den Rest der „Verfassung des Reiches Gottes“ in seinem Leben (und vor allem in seinem Herzen!) praktisch werden zu lassen.

Ein Wort zum Schluss: Ich merke immer mehr, wie der „Leib Christi“ entweder auf der einen oder der anderen Seite vom Pferd zu fallen scheint. Doch was wir brauchen, ist die gesunde Balance verschiedener richtiger Ansätze. In diesem Sinne bitte ich diesen Artikel zu betrachten.